Unser Ernährungssystem krisenfester, resilienter und fairer gestalten - im Gespräch mit dem Ernährungsrat Oberfranken
Der Ernährungsrat Oberfranken ist einer von vier Preisträger*innen, die 2022 im „Wettbewerb für Zukunftsgestaltung mit Leidenschaft – Projekt Nachhaltigkeit" in der Kategorie N - Jetzt und vor Ort mit ihrem Engagement für Nachhaltigkeit inspirierten und überzeugten. RENN.süd sprach mit Maria-Clara Hoh, Mitglied im Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit des Ernährungsrates Oberfranken, über die Motivation der Initiative, ihren gesellschaftlichen Einfluss auf dem Weg zu einer sozial- und umweltverträglichen Ernährungswende sowie über ihre Pläne für 2023. Wir bedanken uns für das Interview und wünschen der Initiative weiterhin viel Erfolg mit ihrer Pionierarbeit für eine nachhaltige Agrar- und Ernährungswende in Oberfranken.
RENN.süd: Was ist eure Motivation für die Gründung von Ernährungsräten?
Maria-Clara Hoh: Unser aktuelles Ernährungssystem trägt zum Überschreiten vieler planetarer Grenzen wie Artensterben oder Bodendegradation bei. Hinzu kommt, dass der Lebensmittelsektor für bis zu 40% der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Die Exportorientierung und Massenproduktion in der Landwirtschaft führen dazu, dass regionale und lokale Strukturen verloren gehen. Gleichzeitig konzentriert sich die Marktmacht auf wenige Lebensmitteleinzelhändlern, was die Landwirtschaft weiter unter Druck setzt. Um eine Agrar- und Ernährungswende anzustoßen und uns (bio-)regional zu versorgen, brauchen wir einen Zusammenschluss aller Akteur*innen entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette. So können wir, auf der Grundlage von Ernährungsdemokratie und -souveränität, unser jetziges Ernährungssystem krisenfester, resilienter und fairer gestalten.
RENN.süd: Was braucht es aus eurer Sicht für eine sozial- und umweltverträgliche Ernährungswende in Deutschland? Wieso sind regionale Akteurinnen und Akteure wie Ernährungsräte dabei wichtig?
Maria-Clara Hoh: Ziele einer sozial- und umweltverträglichen Ernährungswende sind für uns:
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Die Regionalisierung der landwirtschaftlichen Produktion und der Fokus auf eine saisonale Versorgung,
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Eine Ökologisierung der Landwirtschaft,
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Die Förderung und der Erhalt regionaler Produktions- und Verarbeitungsstrukturen und dadurch die Etablierung von regionalen Wertschöpfungskreisläufen,
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Die Überwindung des Wachstumsdrucks in der Landwirtschaft,
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Ein nachhaltigerer Konsum, eine Erhöhung der Lebensmittelwertschätzung und eine Reduzierung der Lebensmittelverschwendung
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die Integrierung der Lebensmittelversorgung in die lokalpolitische Agenda.
Um eine sozial- und umweltverträgliche Ernährungswende in Deutschland voranzubringen, muss an vielen Ebenen angesetzt werden. Wie in vielen Bereichen gibt es keine gemeingültige Lösung, die für alle Regionen passt. Daher sind lokale/regionale Akteure wie Ernährungsräte wichtig, da Sie die Voraussetzungen, Herausforderungen und Stärken der Region kennen und so gezielt die Ernährungswende vor Ort voranbringen können.
RENN.süd: Wie und wer kann sich bei euch engagieren und welche Arbeitsgruppen gibt es?
Maria-Clara Hoh: Der Ernährungsrat ist eine Plattform für alle Akteur*innen entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette. Jede und jeder, die/der sich für eine sozialökologische Transformation im Ernährungsbereich einsetzten möchte, kann sich aktiv im Ernährungsrat Oberfranken engagieren. Wir haben folgende Arbeitskreise: AK Gemeinschaftsverpflegung, AK Öffentlichkeitsarbeit, AK NAHrungsnetzwerk, AK Lebensmittelverschwendung, AK Gründung lokale Räte. Wer konkreter vor Ort agieren möchte, kann auch einen lokalen Ernährungsrat mit der Unterstützung des AK Gründung lokale Räte gründen. Und wer unsere Ziele teilt, jedoch keine zeitlichen Kapazitäten hat, kann Fördermitglied im Ernährungsrat Oberfranken werden.
RENN.süd: Warum lohnt es sich auch für andere Gemeinden und Landkreise einen eigenen Ernährungsrat zu gründen und wie könnt ihr dabei unterstützen?
Maria-Clara Hoh: Ernährung ist ein Querschnittsthema, das wieder auf die lokalpolitische Agenda gehört. Gemeinsam mit Politik und Verwaltung können wir lokale Akteur*innen direkt einbinden, eine lokale Ernährungsstrategie erarbeiten und einen wichtigen Beitrag zur Ernährungswende leisten. Der Ernährungsrat Oberfranken unterstützt, wo er gebraucht wird: Bei der Organisation von Runden Tischen mit Städten und Landkreisen, hilft durch Erfahrungsaustausch oder bei der Öffentlichkeitsarbeit.
RENN.süd: Im Februar lief euer Crowdfunding für den Ernährungsrat Oberfranken – mit Erfolg! Mit dem Geld möchtet ihr eine Koordinierungsstelle einrichten. Wofür werden die Gelder eingesetzt?
Maria-Clara Hoh: Die Ernährungswende hat viele Dimensionen, die wir mit vielen Projekten bearbeiten. Das Kernteam des Ernährungsrates stößt an seine zeitlichen Kapazitäten. Damit wir unsere Ziele jedoch weiterhin mit voller Kraft und Engagement voranbringen und den Ernährungsrat langfristig etablieren können, brauchen wir eine feste Koordinierungsstelle. Dies zeigt auch die Erfahrung der Ernährungsräte anderer Städte, zum Beispiel München, Freiburg und Köln: Ohne eine Koordinierungsstelle geht es nicht! Mit einer Spende unterstützen und helfen Sie uns, die Ernährungswende langfristig in Oberfranken voranzubringen.
RENN.süd: Was habt ihr euch für 2023 vorgenommen?
Maria-Clara Hoh: 2023 wollen wir nutzen, um unsere aktuellen Projekte wie bspw. zum Thema Logistik für die Außer-Haus-Verpflegung (AHV) voranzubringen. Viele Menschen essen im Alltag auswärts, sei es in der Schul-, Uni- oder Firmenkantine. Hier bioregionales Essen anzubieten, ist ein riesiger Hebel für Umwelt- und Klimaschutz. Das werden wir ermöglichen! Außerdem wollen wir mit unserer Koordinierungsstelle den Ernährungsrat langfristig institutionalisieren. Zudem wollen wir unser Netzwerk in Oberfranken vergrößern und die entstandenen Initiativen für lokale Ernährungsräte in Bayreuth, Bamberg und Coburg unterstützen.
Weitere Einblicke in die Arbeit des Ernährungsrats Oberfrankens gibt es hier.
Mehr Informationen über die vier süddeutschen Preisträger*innen der Kategorie N im Projekt Nachhaltigkeit 2022 erhaltet ihr hier. Die diesjährige Bewerbungsphase im Wettbewerb Projekt Nachhaltigkeit läuft noch bis 01. Juni. Wir freuen uns über spannende Projekte, die aktiv an einer nachhaltigen Zukunft arbeiten!