Die NRW-Nachhaltigkeitsstrategie
Die NRW-Landesregierung hat im Juni 2016 die erste Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein-Westfalen beschlossen. Die Strategie wurde in einem zweijährigen Konsultationsprozess erarbeitet, begleitet von zahlreichen Akteuren aus Kommunen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Sie enthielt 19 Handlungsfelder, die sich an den globalen Nachhaltigkeitszielen orientieren. NRW war damit das erste Bundesland, das ein alle SDGs umfassendes Ziel- und Indikatorensystem festgelegt hat. Innerhalb dieses Rahmens wurden sieben ressortübergreifende Schwerpunktfelder identifiziert. 2016 und 2018 wurden jeweils ein Indikatorenbericht zu 60 vorab definierten Indikatoren vorgelegt.
Aufbauend darauf hat die NRW-Landesregierung im September 2020 eine weiterentwickelte Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. In dieser dienen die SDGs verstärkt als Grundlage, sodass nicht mehr die Schwerpunktfelder, sondern nun die Nachhaltigkeitsziele den Rahmen der Strategie bilden. Dadurch soll ein sektor- und ressortübergreifender Ansatz geschaffen werden. Das Kernstück der Strategie ist dabei ein Set aus 67 NRW-Nachhaltigkeitsindikatoren und -zielen, die innerhalb von Postulaten zu dem jeweiligen SDG eingegliedert sind. Weiterhin erfolgt eine Indikatorenberichterstattung alle zwei Jahre und eine Fortschreibung alle vier Jahre – die Strategie wird also 2024 wieder überarbeitet. Beispielhafte Postulate, Indikatoren und NRW-Beiträge als konkrete Ziele in der weiterentwickelten Nachhaltigkeitsstrategie von 2020 sind:
SDG 1. Armut in all ihren Formen und überall beseitigen
Postulat: Armut verringern
Beispielindikator: Materielle Deprivation
NRW-Beitrag als konkreteres Ziel: Anteil der Personen, die materiell depriviert sind, verringern und bis 2030 deutlich unter EU-28 Wert halten
SDG 2. Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
Postulat: In unseren Kulturlandschaften nachhaltig produzieren
Beispielindikator: Ökologischer Landbau
NRW-Beitrag: Erhöhung des Anteils des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf 20 % bis 2030
SDG 3. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
Postulate: Gesundheit fördern und Prävention stärken, Verbesserung der Luftqualität, Verringerung der Lärmbelastung
Beispielindikator: Raucherquote
NRW-Beitrag: Senkung des Anteils der Menschen, die gelegentlich oder regelmäßig rauchen
SDG 4. Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern
Postulate: Bildung und Qualifikation kontinuierlich verbessern, Bildung für Nachhaltige Entwicklung ausbauen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Bildung und Qualifikation kontinuierlich verbessern, Partnerschaftliche Aufgabenteilung bei Erziehungs- und Erwerbsarbeit steigern
Beispielindikator: 30- bis 40-jährige mit tertiärem oder postsekundarem nicht-tertiären Abschluss
NRW-Beitrag: Steigerung des Anteils auf 42 % bis 2020
SDG 5. Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
Postulat: Gleichstellung in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt fördern
Beispielindikator: Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern
NRW-Beitrag: Verringerung des Abstands
SDG 6. Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten
Postulat: Wahrung und Sicherung der nachhaltigen und ökologischen Wasserwirtschaft
Beispielindikator: Phosphor in Fließgewässern
NRW-Beitrag: Bis 2030 Einhaltung der gewässertypischen Orientierungswerte an allen Messstellen
SDG 7. Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern
Postulate: Zukunftsfähige Energieversorgung ausbauen und Energieressourcen sparsam und effizient nutzen, Energiebereitstellung durch hocheffiziente KWK
Beispielindikator: Energieproduktivität (Verhältnis BIP/Endenergieverbrauch)
NRW-Beitrag: Energieproduktivität langfristig bis 2050 um 1,5 % bis 1,8 % pro Jahr steigern
SDG 8. Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
Postulate: Ressourcen sparsam und effizient nutzen, Landesfinanzen konsolidieren – Generationengerechtigkeit schaffen, Wirtschaftliche Zukunftsvorsorge, Wirtschaftsleistung umwelt- und sozialverträglich steigern, Beschäftigungsniveau steigern (insbesondere bei Frauen)
Beispielindikator: Bruttoinlandsprodukt je Einwohner*in
NRW-Beitrag: Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
SDG 9. Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
Postulate: Zukunftsfähige Infrastruktur, NRW als Industriestandort, Zukunft mit neuen Lösungen gestalten – Forschung und Innovation
Beispielindikator: Private und öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung
NRW-Beitrag: Jährlich mindestens 3,5 % des BIP
SDG 10. Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
Postulate: Ungleichheit innerhalb Deutschlands verringern, Aufbau einer Teilhabe- und Willkommenskultur, Schulische Bildungserfolge von Menschen mit Einwanderungsgeschichteverbessern, (Geschlechtsspezifische) Armutsrisiken im Alter verringern, Überwindung der Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen, Transgender und Intergeschlechtlichen (LSBTI*)
Beispielindikator: Gini-Koeffizient zur Einkommensverteilung
NRW-Beitrag: Gini-Koeffizient des verfügbaren Äquivalenzeinkommens deutlich unterhalb des EU-Durchschnittswertes bis 2030
SDG 11. Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten
Postulate: Reduzierung der Flächeninanspruchnahme, Mobilität sichern – Umwelt schonen, Nachhaltigkeitsengagement auf kommunaler Ebene stärken, Heimat und Lebensqualität in Stadt und Land, Bauen und Modernisieren nachhaltig gestalten
Beispielindikator: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche
NRW-Beitrag: Angemessener Beitrag aus NRW zur Erreichung des Bundesziels einer Senkung der neuen Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr auf unter 30 ha/Tag bis 2030
SDG 12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
Postulate: Nachhaltigen Konsum und nachhaltige Lebensstile fördern, Anteil nachhaltiger Produktion stetig erhöhen, Die nachhaltige öffentliche Beschaffung ausbauen
Beispielindikator: Anteil der Ausgaben für biologisch erzeugte Nahrungsmittel (mit EU-Biosiegel)
NRW-Beitrag: Bis 2030 substanzielle Erhöhung des Ausgabenanteils von biologisch erzeugten Nahrungsmitteln (mit EU-Biosiegel) an den Gesamtlebensmittelausgaben
SDG 13. Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
Postulate: Treibhausgase reduzieren, IN4climate.NRW für eine klimaneutrale Industrie, Emissionsarme Mobilität, Klimaneutrale Landesverwaltung, Klimafolgenanpassung, Klimaschutz und Klimaanpassung vor Ort stärken (auf kommunaler Ebene und in den Regionen), Gebäudebestand langfristig klimaneutral stellen
Beispielindikator: Treibhausgasemissionen
NRW-Beitrag: Reduzierung um min. 25 % bis 2020 und um min. 80 % bis 2050
SDG 14. Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen
Keine Postulate, Indikatoren und NRW-Beiträge als konkrete Ziele
SDG 15. Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen
Postulate: Arten erhalten – Lebensräume schützen und Wahrung und Sicherung der nachhaltigen Waldbewirtschaftung, Ökosysteme schützen, Ökosystemleistungen erhalten und Lebensräume bewahren
Beispielindikator: Gefährdete Arten (Rote Liste)
NRW-Beitrag: Rote-Liste-Arten bis 2030 auf 40 % reduzieren
SDG 16. Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
Postulate: Persönliche Sicherheit erhöhen, Mobilisierung des bürgerschaftlichen Engagements für eine nachhaltige und offene Gesellschaft
Beispielindikator: Straftaten
NRW-Beitrag: Rückgang der erfassten Straftaten je 100.000 Einwohner*innen auf unter 7.000 bis 2030
SDG 17. Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben füllen
Postulate: Einen Beitrag zur global nachhaltigen Entwicklung leisten, Wissen international vermitteln, Handelschancen der armen Entwicklungsländer verbessen
Beispielindikator: Anteil ausländischer Studierender
NRW-Beitrag: Steigerung des Anteils
Historie & Akteure
Nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip der Landespolitik wurde bereits 2012 im Koalitionsvertrag der damaligen Landesregierung festgeschrieben. Im November 2013 gab die Landesregierung die Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie schließlich in Auftrag. In einem Beschluss vom 26. Juni 2015 zur „Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung – Nordrhein-Westfalen als Vorreiter bei der Umsetzung der internationalen Nachhaltigkeitsziele“ (LT-Drs. 16/8988) hat der Landtag die Landesregierung außerdem aufgefordert, die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung in NRW zu implementieren, unter anderem im Rahmen der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie. Dieser Aufforderung ist die Landesregierung mit der Vorlage der Strategie nachgekommen. Eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller Ressorts (IMAG Nachhaltigkeitsstrategie) hat die Strategie(entwürfe) erarbeitet. Indikatorenberichte erfolgten zeitgleich mit der Strategie 2016 und im Jahr 2018. Darauf aufbauend wurde 2020 die aktuelle Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen, die den Titel „Die globalen Nachhaltigkeitsziele konsequent umsetzen“ trägt. Neben der Definition von Zielen und Indikatoren legte diese auch den Grundstein für die Einsetzung eines NRW-Nachhaltigkeitsbeirates.
Zuletzt hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalens im August 2023 über die Nachhaltigkeitsstrategie beraten und die Fortschreibung für das Jahr 2024 beschlossen. Die neunte NRW-Nachhaltigkeitstagung im September 2023 mit über 500 Vertreter*innen aus allen gesellschaftlichen Bereichen lieferte dafür wichtige Impulse. Dabei wirkt auch der NRW-Nachhaltigkeitsbeirat an der Strategieentwicklung mit. Die übergeordnete Koordination liegt im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MUNV NRW).
Ziele & Indikatoren
Das Ziel- und Indikatorensystem der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie orientiert sich an den nationalen und internationalen Nachhaltigkeitszielen. Über die 67 Indikatoren und Ziele wird im Abstand von zwei Jahren berichtet. Zudem werden unter auf der Website https://www.nachhaltigkeitsindikatoren.nrw.de regelmäßig aktualisierte Daten bereitgestellt.
Umsetzung & Monitoring
Als themenübergreifende Umsetzungsinstrumente sieht die Landesregierung unter anderem Nachhaltigkeitsprüfungen für Gesetze und Verordnungen sowie Nachhaltigkeitschecks für Landesprogramme vor. Im Programm „Nachhaltige Verwaltung der Zukunft“ wurde von April 2017 bis Juli 2019 ein Gesamtkonzept für behördliches Nachhaltigkeitsmanagement erarbeitet, das bereits vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW) angewendet wird und als gutes Beispiel dienen soll. Ein weiteres wichtiges Instrument sind die jährlichen NRW-Nachhaltigkeitstagungen. Die vom statistische Landesamt IT.NRW alle zwei Jahre vorgelegten Indikatorenberichte zur Nachhaltigkeit in NRW dienen dem Monitoring der Indikatoren.
Beteiligung
Schon die erste NRW-Nachhaltigkeitsstrategie wurde partizipativ mit Kommunen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft entwickelt: Das akteursübergreifende TEAM Nachhaltigkeit beim Wuppertal Institut (mit VertreterInnen von Zivilgesellschaft, Unternehmern, Wissenschaft, kirchlichen Organisationen, Gewerkschaften, kommunalen Spitzenverbänden, Verbraucherorganisationen und anderen) hat sich mit mehreren Verbesserungsvorschlägen an die Landesregierung gewandt. Auch weiterhin spielt Partizipation eine wichtige Rolle. Kommunale Akteur*innen aus Politik und Verwaltung werden seit 2016 über das Projekt „Global Nachhaltige Kommune NRW“ der LAG 21 NRW im Rahmen von verschiedenen Veranstaltungen zur NRW-Nachhaltigkeitsstrategie informiert und können ihre Anregungen einbringen. Die bereits seit 2012 jährlich stattfindenden NRW-Nachhaltigkeitstagungen sind eine bedeutende Plattform für den Austausch der beteiligten Akteure. Ebenso hat sich das von der LAG 21 NRW koordinierte zivilgesellschaftliche „Fachforum Nachhaltigkeit NRW“ kontinuierlich mit Stellungnahmen eingebracht, zuletzt mit zehn Forderungen für die zweite Fortschreibung der Strategie in 2024 (Details hier). Auch der NRW-Nachhaltigkeitsbeirat, dessen Einsetzung 2020 die Partizipationsprozesse stärker institutionalisierte, hat dafür ein Impulspapier verfasst. Eine Online-Konsultation für die Öffentlichkeit soll noch Anfang 2024 starten.