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Das 17-Minuten-Interview

Samuel Drews Portrait © Plastikfreie_Stadt
Samuel Drews ©Plastikfreie Stadt

Samuel Drews  

Initiative Plastikfreie Stadt plastikfreiestadt.org 
KuBuS e.V. kubus-verein.de
Gaffelschonerweg 2 | 18055 Rostock  
samuel@plastikfreiestadt.org  
Instagram @plastikfreiestadt  
linkedin.com/company/plastikfreie-stadt

Vor vier Jahren hat RENN.nord und der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) die Initiative Plastikfreie Stadt aus Rostock als Projekt Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Wie hat sich dein Projekt seitdem entwickelt? 

Seit wir vor vier Jahren von RENN.nord und dem RNE für unsere Arbeit ausgezeichnet wurden, hat sich wirklich viel getan. Die Zeit ist wie im Flug vergangen, und wir haben intensiv daran gearbeitet, unser Projekt voranzutreiben und noch mehr Impact zu erwirken. Wir arbeiten immer noch eng mit den Pionier-Unternehmen von damals zusammen, die die ersten Plastik-Inventuren durchgeführt haben. Aber glücklicherweise hat sich unser Netzwerk ordentlich erweitert! Wir haben jetzt über 45 Pionier-Unternehmen in acht verschiedenen Städten an Bord, hauptsächlich im Norden, aber auch über das ganze Land verteilt, die ihren eigenen Verbrauch an Einwegplastik bilanzieren, Hebel zur Vermeidung analysieren und gezielte Maßnahmen zur Reduzierung umsetzen. 

Teamfoto ©Plastikfreie_Stadt
Teamfoto Achterdeck ©Plastikfreie Stadt

Aber auch unser Team ist gewachsen. Das ermöglicht uns, größere Projekte anzugehen, den Arbeitsaufwand auf mehrere Schultern verteilen und uns gegenseitig unterstützen zu können. Wir sind stolz, dass der ehrenamtliche Anteil unserer Arbeit mittlerweile deutlich weniger geworden ist.

Und dann hat eins zum anderen geführt: Durch unsere Arbeit mit den Unternehmen haben wir immer mehr Anfragen bekommen, ob wir auch andere Akteur:innen in unser Netzwerk aufnehmen und unsere Plastik-Inventur erweitern wollen. Gesagt, getan. Aktuell arbeiten wir mit den ersten Kommunen und Schulen zusammen. Auch unsere Heimatstadt, die Hanse- und Universitätsstadt Rostock hat sich dazu entschlossen, den Städteansatz umzusetzen, was uns natürlich besonders freut. Und besonders stolz macht uns, Teil unseres ersten EU-Projekts zu sein! 

Escape_game_©Plastikfreie_Stadt
Escape-Game auf der Hanse Sail in Rostock ©Plastikfreie Stadt
Welche Angebote habt ihr aktuell?  

Wir wollen Plastiksparen so einfach wie möglich machen, also bieten wir unserem Netzwerk ganz verschiedene Tools und Möglichkeiten zum Austausch an. Unser Herzstück ist immer noch die Plastik-Inventur, bei der Organisationen mit unserem Inventur-Tool und dem plastikfrei-Netzwerk ihren Plastikverbrauch reduzieren. Dafür haben wir einen ganzen Werkzeugkasten voller Unterstützungsmaterialien entwickelt: neben dem Tool an sich gibt es zum Beispiel Leitfäden zur Einwegplastikvermeidung für verschiedene Bereiche eines Unternehmens, sei es Verköstigung, Büromaterial oder Reinigung und Sanitär. Auch der individualisierbare Lieferanten-Brief wird gerne genutzt, um Stakeholder:innen, von denen oftmals die Verpackung von Lieferungen abhängt, in den Prozess einzubeziehen. Unsere plastikfrei-Sprechstunden sind immer noch ein beliebter Anlaufpunkt zum Austausch im Netzwerk. Hier gilt: Wissen und Erfahrungswerte werden gerne geteilt, denn umso eine größere Wirkung können diese erzielen. Wir vernetzen außerdem jedes neue Mitglied mit erfahrenen Partnerunternehmen, um voneinander zu lernen. Noch recht neu ist auch, dass wir unser plastikfrei-Tool jetzt wie gesagt auch für Kommunen und Schulen anbieten; und sogar mit einem Plastik-Escape-Game für Schulklassen sowie voraussichtlich bald auch für Unternehmen niedrigschwellige Hebel mit weiteren Zielgruppen erarbeiten.

Was braucht es, damit eine Initiative so erfolgreich wie eure wird?

Ich wünschte, dafür gäbe es ein Rezept. Bei uns waren im Rückblick wohl drei Dinge besonders wichtig: Erstens, eine gute Portion Idealismus! Wir müssen uns große Visionen erlauben und diese dann auf die Realität herunterbrechen können.

Zweitens, Geduld und Flexibilität. Wir haben viel mehr erreicht, als wir uns damals vorgestellt haben, allerdings über Umwege und durch einige Labyrinthe. Ein langer Atem und Mut sind dafür unverzichtbar.

Und als drittes und Wichtigstes: Das Team! Nur gemeinsam konnten wir so weit kommen. Wir haben eine super offene und familiäre Umgangsweise entwickelt. So wissen wir einfach, dass wir uns aufeinander verlassen können und uns gegenseitig auffangen, auch wenn es zum Beispiel gerade etwas holprig ist. Dafür versuchen wir, verschiedene Lebenskonzepte zu integrieren. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass wir zusammen Hindernisse überwinden können und auch mal herzhaft darüber lachen, wenn etwas schief geht.

Ihr seid Teil eines internationalen Netzwerks und beteiligt euch mit eurem Plastik-Erfassungstool am Interreg-Projekt BALTIPLAST. Ziel ist es, Plastik in Unternehmen und Stadtverwaltungen, Schulen und im Privathaushalt zu vermeiden. Wie stehen wir in Norddeutschland im internationalen Vergleich da?

Wenn man sich den Pro-Kopf-Konsum pro Land anschaut, ist Deutschland im europäischen Vergleich leider ganz vorne mit dabei. Deutschland hatte etwa 2021 den zweithöchsten Verbrauch von Plastik-Verpackungen, nach Irland (Anm.: ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php ). Trotzdem scheint das Bewusstsein über Plastikverschmutzung hierzulande hoch zu sein. Nicht umsonst haben sich schon so viele Organisationen mit und für die Plastik-Inventur engagiert. Wenn es um die Plastik-Inventur geht, stehen wir also im internationalen Vergleich dank der Erprobung unseres plastikfrei-Tools hier in Norddeutschland recht gut da. Aber auch unsere europäischen Nachbarn sind sehr motiviert und die ersten Organisationen im baltischen Raum haben die Inventur schon durchgeführt.  

Was uns aber ganz wichtig ist: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als Teil einer gemeinsamen Anstrengung, die Einwegplastikverschmutzung zu bekämpfen. Das ist besonders für dieses Interreg-Projekt wichtig, denn alle teilnehmenden Länder liegen rund um die Ostsee. Das dort eingetragene Plastik erreicht uns also alle. Mit insgesamt 17 länderübergreifenden Partner:innen schneiden wir das Inventur-Tool auf unterschiedliche Zielgruppen und Bedürfnisse zu und machen es erfahrbar für Menschen mit verschiedenen Muttersprachen. Das Projekt ist ein tolles Beispiel für grenzübergreifende Kooperation. Es zeigt, was passiert, wenn Länder sich gemeinsam engagieren.

Globale Pandemie, gestiegene Energiepreise, Inflation: Die Wirtschaft steht mächtig unter Druck. Gleichzeitig wachsen die Berichtspflichten und damit auch die Anforderungen an unternehmerischen Nachhaltigkeitskonzepten. Wie schätzt du die Stimmung in den Unternehmen ein? Wo siehst du positive Entwicklungen? An welcher Stelle sind wir auf dem richtigen Weg?

Die Stimmung in den Unternehmen ist tatsächlich gemischt. Die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen bringen auf jeden Fall Unsicherheit mit sich, das merken wir auch in unserem Netzwerk.

Gleichzeitig verbreitet sich aber auch immer mehr die Tatsache, dass Nachhaltigkeit kein netter Zusatz mehr ist, sondern für ein erfolgreiches Wirtschaften einfach essenziell. Dass es sowieso bald für alle Unternehmen Pflicht wird, ist ja spätestens seit der neu verabschiedeten CSDDD der EU klar. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass viele Unternehmen klare Richtlinien und gesetzliche Forderungen sogar aktiv einfordern. Aber wir sehen innerhalb unseres Netzwerkes auch viele positive Entwicklungen wie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen. Schließlich wollen wir alle das Gleiche, nämlich unseren Planeten bewahren. 

Abbildung Holzskala_©Plastikfreie_Stadt
Holzskala ©Plastikfreie Stadt
Warum brennst du ausgerechnet für das Thema Plastikvermeidung? Was treibt dich an?

Es stimmt, es könnte genauso gut jedes andere Nachhaltigkeitsthema sein. Es gibt so vieles, was wir angehen müssen: Die Klimakrise, die Biodiversitätskrise, soziale Ungleichheit... Da kann unser Einwegplastikkonsum trotz Gesundheitsrisiken für uns und die Umwelt manchmal recht unbedeutend wirken. Wir haben aber über die Zeit festgestellt, dass Plastik ein toller Einstieg in die Nachhaltigkeit ist. Es ist sichtbar und damit ist der Hebel der Konsumverringerung für alle gut nachvollziehbar. Auch in den Medien ist Plastik recht präsent und damit der Rechtfertigungsdruck, sich dem Thema zu widmen, geringer. Aber eine tolle Dynamik ist, dass viele Unternehmen im Rahmen der Plastikinventur noch weitere Hebel zur Einsparung ausfindig machen. Zum Beispiel den Wasserverbrauch einer fast leeren Spülmaschine. Oft geht es also nach der Plastikinventur mit anderen Nachhaltigkeitsthemen weiter.

Mal ganz davon abgesehen ist Plastik natürlich so ein wichtiges Thema, weil es mit so vielen anderen verknüpft ist: Zum Beispiel mit der Klimakrise, denn Plastik besteht weiterhin zum Großteil aus fossilem Erdöl, oder der Biodiversitätskrise, denn viele Tiere und Pflanzen leiden unter der Verschmutzung. Aber auch unserer Gesundheit, denn das Plastik um uns hat nicht nur hormonelle Auswirkungen, sondern lässt sich sogar in der menschlichen Plazenta nachweisen. Was ich damit sagen will: Eigentlich brenne ich nicht nur für Plastik!

Abbildung Mehrwegleihbecher_©Plastikfreie_Stadt
Mehrweg-Leihbecher ©Plastikfreie Stadt
Wie ist deine Vision für die Zukunft? Was hast du dir für die nächsten Jahre vorgenommen? Wie bleibst du positiv und motiviert?

Was mich in den letzten Jahren getragen hat, ist die Gewissheit, dass wir mit unserer Vision nicht alleine sind. So viele Menschen auf dem Planeten engagieren sich an ganz unterschiedlichen Orten und mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen. Wir treten gemeinsam für eine nachhaltige Welt an, in der wir und unsere Nachkommen gut und im Einklang mit der Umwelt leben können. Ich glaube, das ist die Vision, die uns alle, egal wo wir auf der Welt sind, zusammenhält und uns auch in schwierigen Momenten weitermachen lässt.

Ich wünsche mir, dass wir Menschen uns in den nächsten Jahren auch auf nationaler, regionaler und globaler Ebene trauen, große Schritte für unsere Zukunft zu wagen - und dass wir dabei an einem Strang ziehen, das Allgemeinwohl als oberstes Ziel im Kopf und im Herzen. Wir von Plastikfreie Stadt wirken daran gerne mit.

Danke Samuel, für das Interview.
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