Kontakt

Das 17-Minuten-Interview

© Margot Böhm

»Ich sehe mich als Freidenkerin, die aus dem Bereich des Coachings und Changemanagement-Bereich kommt, die Transformations- und Nachhaltigkeitsprozesse von dort aus beleuchtet. RENN.nord ist ein Knotenpunkt in diesem Akteurs-System was eher institutionalisiert ist. Dieses Zusammenspiel ist wertvoll.«


Margot Böhm ist Wahl-Sylterin. Seit einigen Jahren lebt sie mit Mann und Hund in List. 
Coach, Coach-Ausbilderin, Unternehmensberaterin, Begleiterin in Change-Management- und Transformations-Prozessen – das ist ihr Hauptberuf. In ihrem zweiten Leben ist sie als Assistentin Margoo gemeinsam mit Dr. Beatrix Becker, diplomierte Ordnungswissenschaftlerin und Gründerin der Partei Ordnung und Heimat, mit der Jokerei unterwegs. 

»Ich und mein Dorf« das ist der Titel des gemeinsamen Projektes mit RENN.nord. Wie kam es dazu?

Ich habe mich seit Längerem mit der Idee getragen, eine Weiterbildung anzubieten für Menschen, die Transformationsprozesse vor allem in Kommunen voranbringen wollen. Habe mit verschiedenen Leuten gesprochen und verschiedenes Interesse signalisiert bekommen. Dann kam die Ausschreibung von RENN.nord im Rahmen des Projektes SEGEL SETZEN, wo Konzepte ausgeschrieben worden sind, bei denen ich mich beteiligt habe. Mit dem eingereichten Konzept habe ich einen Preis gewonnen. Ich habe mich sehr gefreut über die Resonanz. Dann kam die Ausschreibung für das Bügermeister:innen-Projekt und ich habe den Zuschlag bekommen.

»Ich und mein Dorf«. Wie sieht Dein Lieblingsdorf aus? Oder wie würde es aussehen?

Ich lebe in einem Dorf. Und wie es der Zufall so will, engagiere ich mich auch hier auf Sylt kommunalpolitisch. Ich habe schon klare Vorstellung von diesem Dorf: Mit ganz vielen lebendigen, fröhlichen Menschen, die Lust haben, sich zu engagieren, sich zu beteiligen. Menschen, die Spaß haben, Dinge im Miteinander zu entwickeln, Projekte umzusetzen, die dabei unterstützt werden, dies zu tun. Und sich so für Transformations- und Nachhaltigkeitsprozesse mit ganz viel Freude engagieren. Wo Lösungen im Dialog entstehen, wo man miteinander im Gespräch ist und wo man mit unterschiedlichen Perspektiven drauf guckt. Und dann zu gemeinsamen Lösungen kommt und diese umsetzt. Dies ist sehr menschenbezogen. Ich lebe am Meer. Ich sehe Dünen und den Strand. Ich sehe keine Autos mehr oder nur noch ganz wenige. Ich sehe Menschen, die zu Fuß gehen. Menschen, die Platz haben, auf dem Fahrrad zu fahren, Menschen, die Platz haben auf den Fußwegen. Menschen, die sich im Dorf aufhalten möchten, die auf Bänken sitzen und sich unterhalten und miteinander im Gespräch sind. Menschen, die miteinander spielen und miteinander Zeit verbringen. 

Wie stehen denn Touristen und Einheimische zueinander auf Sylt?

Auch hier wünsche ich mir ein miteinander. Ein ausbalanciertes Leben. Entspannte Gastgeber:innen und Gäst:innen. Das korrespondiert auch. Die Lust haben, sich miteinander in Beziehung zu setzen. Und die miteinander eine gute Zeit haben.

Wenn Du Dich in dem gerade beschriebenen Dorf siehst. Was bringt Dir am meisten Spaß?

Ich bin gut darin, solche Prozesse zu moderieren. Menschen zu »empowern«. Ihnen die Möglichkeit zu geben, aktiv zu werden. Und sie dabei zu unterstützen. Andere Menschen dazu befähig, »es« zu tun.

Schon der Titel »Ich und mein Dorf, – wie uns die SDGs die Arbeit erleichtern«, macht neugierig. Verrate uns mehr. Warum können die SDGs die Arbeit erleichtern?

Wir haben darüber viele Diskussionen geführt. Wir stehen hier am Rand der Katastrophe. Wir müssen jetzt schnell handeln. Das ist ja auch so ein allgemeines Gefühl bei Akteur:innen. Da haben wir gesagt: NEIN. Ja, aber Nein. Es geht also nicht darum, den Menschen die SDGs ganz hart ausgedrückt »reinzuprügeln«. Und gerade ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die bis zum Rand in Arbeit stehen, ständig zugeschüttet werden mit Dingen, die sie allemachen sollen … und jetzt auch noch die SDGs. Nein, so funktioniert es nicht. Es kann nur funktionieren im Rahmen der bisherigen Tätigkeit und vielleicht darüber hinausgedacht, die SDGs weiterentwickeln und Tools und Perspektiven hat, um das, was man bisher gemacht hat, auf eine andere Art machen kann. Sodass es leichter wird. Wir haben gesagt, wir hätten gern ein »Return on invest of time«, um diesen Raum zu erweitern. Es soll Zeit sparen und auch Energie. Und Lust machen. Wie ich Arbeit in Kommunen kenne, ist es oft so, dass man sich nicht klar ist über die Zielsetzung. Wo möchte man hin? Das ist bei den Fraktionen auch noch unterschiedlich. Da will jede Fraktion woanders hin. Manchmal auch nicht. Zum Teil gibt es auch eine gemeinsame Perspektive. Wenn es die nicht gibt, ist es notwendig, diese gemeinsam im Dialog zu entwickeln. Die SDGs bieten dazu einen wunderbaren Orientierungsrahmen. Man sollte immer einen Gegen-Check machen. Was ist die beste Lösung? Was müssen wir bedenken? Wenn man sich erst einmal »eingegroovt« hat, wird es leichter.

Wie waren die ersten Reaktionen auf die SDGs beim Projektstart?

Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Wir haben schon so viel Zeit verpasst, jetzt mal los! Und andere Teilnehmer:innen stellten fest, dass Sie sich noch gar nicht damit beschäftigt hatten. Aber es interessiert mich. Es gibt unterschiedliche Zugänge und dann natürlich die Frage: »Wenn wir uns jetzt damit beschäftigen: Wie machen wir das denn?« Es ist alles so groß und was sollen wir in unserer Gemeinde denn machen? Beim zweiten Blick wird klar, dass wir ganz viel damit zu tun haben. Je mehr man ins Gespräch kommt, je mehr Handelspunkte findet man. Und dann gibt es hier die Ziele. Aber wie können wir die erreichen? Was ist in unserer Macht? Wichtig ist es, Ziele zu formulieren, die man auch erreichen kann. Sonst macht es auch keinen Spaß. Ziele sollten messbar und erreichbar sein. Mit einer kleinen Gradänderung kann man viel erreichen.

Ich geh´ jetzt gleich mal auf das Agieren oder wie Du es genannt hast »Anpack« ein. Hast Du ein Beispiel eines »Anpack«?

Nachhaltige Beschaffung zum Beispiel. Hier agieren die kleinen Gemeinden mit den Ämtern. Hier das Thema genau ins Bewusstsein zu bringen und sich dann genau informieren und die Weichen anders zu stellen. Das ist ein konkreter »Anpack«.

Beim Thema Mobilität zahlen viele SGDs auf das Thema ein. Wir wollen »auf Teufel komm raus«, das Autofahren verhindern und machen es teurer! Dann hat man die Menschen aus dem Auge verloren, die nicht so viel Geld mitbringen. Wir müssen an mehreren Stellschrauben gleichzeitig drehen. Also wir müssen genau schauen, welche Alternativen es gibt. Alternativen zum eigenen PKW. Wie muss es ausgestaltet sein für wen? Denken wir an den ÖPNV oder Demand-Verkehr? Dürfen diese Lösungen viel Geld kosten oder brauchen wir da das 49 Euro-Ticket? Eigentlich ist es immer die Frage, was wir gerade denken. Bekommen wir es so hin, dass wir uns nicht in Widersprüche und Zielkonflikte verwickeln? Also einerseits von den Zielen her zu denken, aber andererseits in konkreten Projekten denken. Wie können wir damit umgehen? Hat man eine Idee, wie man damit umgehen kann?

Wie seid ihr gestartet?

Wir haben versucht, die Visionen der Teilnehmer:innen herauszuarbeiten. Genau wie wir unser Gespräch begonnen haben. Was seht ihr? Wo möchtet ihr hin? Die Ausrichtung: Welche Stärken habe ich selbst zur Verfügung? Ich als Bürgermeisterin oder Bürgermeister? Was bringe ich persönlich mit? Was kann ich gut und was mache ich gerne? Wo sind meine Talente? Also die persönliche Stärkenorientierung. Dann zu gucken, was ist denn für mich eine gute Bürgermeisterin oder Bürgermeister? Was erwarten die Menschen in meiner Gemeinde und was mache ich damit? Wie positioniere ich mich? Eine persönliche Bestandsaufnahme zu machen und dabei stärken- und ressourcenorientiert zu denken. Das war der Anfang. Wie formuliere ich gute Ziele, die ich auch erreichen kann. Ich habe die Zügel für mein eigenes Handeln in der Hand. Ich kann keine Ziele für andere Personen formulieren. Es ist sehr entlastend zusagen, dass man Ziele für das eigene Handeln formuliert. Und nicht Ziele, wie die Menschen in der Gemeinde handeln sollen.

Hast Du ein Beispiel?

Als Beispiel sehe ich hier »das blühende Dorf«. Dann überlege ich: Wie komme ich dahin? 

1. Ich gehe und säe etwas.
2. Ich thematisiere das in der Gemeindevertretung und hole mir »Für und Wider«.
3. Ich stelle das Thema auf die Agenda.
4. Ich mache einen Beschlussvorschlag.

Auch wenn alle sagen, wir wollen keinen Blühstreifen, habe ich trotzdem mein Ziel erreicht, weil ich das Thema zum Beschluss gestellt habe. Mein Ziel kann nicht sein, ALLE wollen ein blühendes Dorf. Das wäre sehr frustrierend. Wenn es alle nicht wollen, ist es nicht der richtige Zeitpunkt. Welche Debatten müssen wir erst einmal führen? Vielleicht liege ich auch selbst falsch mit dem Ziel. Ich kann etwas anzetteln. Das andere liegt nicht in meiner Hand.

Aus dem Dorf – mit dem Dorf – für das Dorf: Bei gleichzeitigem Blick über den Tellerrand. Was verbirgt sich dahinter?

Aus der Gruppe hat sich ein Netzwerk gebildet. Es kamen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Schleswig-Holstein zusammen. Die sich in vier Treffen in Beziehung zueinander gesetzt haben. Sich unterhalten haben, gemeinsame Lösungen gefunden haben. Gemeinsam über Themen gesprochen haben, die sie wirklich interessieren. Durch weitere Vernetzung konnte man sich immer weitere Impulse holen.  Wir haben dann Interviews mit schleswig-holsteinischen Akteur:innen in Sachen SDGs geführt, die auch wieder neue Impulse gegeben haben und in der Videogalerie „Who is who?" zu finden sind. Was man machen kann, kann man global umsetzen. Auch in einem kleinen Dorf. Die Teilnehmer:innen sind auch weiterhin im Dialog und können sich jetzt austauschen und Synergien nutzen.

In Schleswig-Holstein gibt es fast 1.200 ehrenamtliche Bürgermeister:innen. Wie ist das Ehrenamt in dieser einflussreichen Position als Bürgermeister:in innerhalb einer Dorfgemeinschaft in Deinen Augen zu sehen?

Hier muss man stark unterscheiden: Wie groß ist die Gemeinde? Welche Herausforderungen hat die Gemeinde zu bewältigen? Das sind zwei Paar Schuhe. Wenn eine kleine Gemeinde von 500 Einwohner:innen (es gibt auch kleinere) nicht ständig so riesige Projekte zu stemmen hat und alles in geordneten Bahnen läuft, dann mag es halbwegs funktionieren nebenbei. Wobei es unterschiedliche Modelle gibt.  Zu dem Kreis der Bürgermeister:innen gehören Menschen, die nicht mehr berufstätig sind, die bereits pensioniert sind oder in Teilzeit arbeiten. Ob es jemanden gab, der Vollzeit berufstätig war, ist mir nicht bekannt. Es ist eine riesige Herausforderung. Auf der Insel Sylt ist allein das Thema Tourismus und der Bau von Ferienwohnungen ein sehr großes Arbeitsfeld. Es muss teilweise nach Lösungen gesucht werden, die vorher noch niemand gefunden hat. Man muss sich etwas Neues ausdenken.  Das Amt einer Bürgermeisterin oder eines Bürgermeisters ist im Grunde ehrenamtlich nicht umsetzbar. Es braucht eine durchgängige Verbindlichkeit. Ob das System auf Dauer tragfähig ist auf Dauer, bezweifle ich. Das Ehrenamt treibt Menschen in die Armut. In der Zeit können sie kein Geld verdienen und auch nichts in die Rente einzahlen. Ich bin kreispolitisch im Wirtschaftsausschuss tätig und dort sind zu 90 % Männer im Rentenalter tätig. Frauen und dann auch jüngere Menschen findet man wirklich nur vereinzelt. Das ist nicht divers und ein sehr eingeschränkter Blick gesamt auf »Wirklichkeit«.  Für den Transformationsprozess ist diese Ausgangslage sehr ungünstig. In einer Studie habe ich gerade gelesen, dass es nur 18 % der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Frauen sind. In unserem Coaching-Projekt war die Aufteilung ausgewogen. Auch als Gemeindevertreter muss man sich in sehr komplexe Themen einlesen. Man muss sprach- und entscheidungsfähig sein. Abgeordnete machen diesen Beruf nicht ehrenamtlich und haben einen Mitarbeiterstab, der ihnen zuarbeitet. Auf Kommunalebene ist es plötzlich ganz anders.  Ehrenamt: nebenbei, kein Geld, keine Zuarbeit. Über das System sollte man nachdenken. Diese Struktur hat man damals aus finanziellen Gründen gewählt. Zentral für dieses Projekt ist der coachingbasierte Ansatz: im Zentrum stehen die Teilnehmenden und ihre Ziele und Visionen, Kompetenzen und Möglichkeiten. Die Arbeit mit den SDGs wird nicht als weiteres Tätigkeitsfeld im Rahmen der schon weit über ein normales Ehrenamt hinausgehenden Arbeit der Bürgermeister:innen gedacht, sondern soll die Arbeit erleichtern. Betrachtet wird das, was in der jeweiligen Gemeinde tatsächlich umsetzbar ist – innerhalb einer Kultur des Miteinanders, flexibel, »fehlerfreundlich«, auf Augenhöhe und mit Humor.

Hast Du ein Praxisbeispiel?

Zu Anfang haben wir uns angeschaut, was es alles zu Veranstaltungen zu den SDGs gibt. Es gibt ziemlich viel. Wir haben nichts gefunden, was wirklich da ansetzt, wo die einzelnen Teilnehmer:innen Raum für ihre persönlichen und konkreten Fragestellungen haben. Man kann Fragen inhaltlicher Art stellen und es gibt viele Praxisbeispiele. Der Ansatzpunkt bei mir selbst und meinem eigenen Thema war nicht da. Das haben wir durchgängig praktiziert.  Wie guckst du selbst auf das Thema? Was ist deine Fragestellung? Wie geht es dir gerade damit? Was ist gut gelaufen? An welcher Stelle hängt es denn? Also immer wieder darauf zu gucken. Selbstkameradschaftlich und ehrlich zu sich selbst: Da sind wir wieder bei dem Thema Fehlerkultur. Das wahrzunehmen, was gut läuft und bei den Dingen, die gar nicht gut gelaufen sind, nach Alternativen zu suchen. Was würde ich das nächste Mal ausprobieren?  Nur so kommen wir vorwärts. Lernen ist Aktion und Reflexion. Wir können was tun, dann reflektieren, unsere Schlüsse daraus ziehen. Ohne zu sagen: War ich schlecht! Nach vier Jahren Clown-Ausbildung, die ich jetzt hinter mir habe, lernt man fröhlich scheitern. Man kann alles so oder so betrachten. Einfach mal die Perspektive wechseln. Man kann sich immer entscheiden, es so oder so zu tun!Es ist eine Frage der eigenen persönlichen Entscheidung!  Auch die Frage nach den Ressourcen sollten wir immer im Blick haben. Welche Ressourcen stehen einer ehrenamtlichen Bürgermeisterin oder Bürgermeister zur Verfügung? Auch das Thema Resilienz ist wichtig. Das Zeitkonto als ehrenamtliche Kommunalpolitikerin oder Kommunalpolitiker zu überziehen, bringt langfristig nichts. Aber die Perspektive zu haben, miteinander in Bewegung zu sein und im Gespräch zu bleiben, ist wichtig.  Es gibt das schöne Zitat von Antoine de Saint-Exupéry »Es gibt im Leben keine Lösungen, sondern Kräfte, die in Bewegung sind«. Diese Kräfte gilt es zu erschaffen. Dann werden Lösungen folgen. Die liegen nicht auf der Hand und manchmal muss man dreimal um die Ecke gehen.

Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit RENN.nord?

Wir stehen an unterschiedlichen Stellen in diesem Gesamtsystem. Und das ist schön. Ich sehe mich als Freidenkerin, die aus dem Bereich des Coachings und Changemanagement-Bereich kommt. Und die Transformations- und Nachhaltigkeitsprozesse von dort aus beleuchtet.  Und RENN.nord ist ein Knotenpunkt in diesem Akteurs-System was eher institutionalisiert ist. Dieses Zusammenspiel ist sehr wertvoll. Diese beiden Perspektiven fruchtbar zu machen und miteinander in Beziehung zu bringen, finde ich großartig. Die Menschen in den Dörfern müssen ihre eigenen Lösungen finden. Weil man uns in den groß angelegten Nachhaltigkeitsstrategien gar nicht mitgedacht hat. Wir arbeiten von unten her.  Wir müssen unsere eigenen Systeme finden, die sehr individuell sind. Man kann die Strategien nur individuell entwickeln. Jede Gemeinde muss ihren eigenen Weg finden. Aber auch für die großen Gemeinden ist der coachingbasierte Ansatz geeignet. Wie gehe ich als Akteurin und Akteur in diese Themen rein?Wie stärke ich mich darin und was ist meine eigene Strategie? Es ist dann egal, ob ich im Dorf oder in der Stadt bin. Dieser Ansatz zeichnet sich durch das Verbinden von Personen und Organisationen aus. 
Die persönlichen Beziehungen in kleineren Gemeinden haben Licht und Schatten. Oft kennen sich Menschen schon über Generationen hinweg. So können fast verwandtschaftliche Beziehungen andere Herausforderungen mit sich bringen als die Anonymität, die wieder einen anderen Spannungsbogen spannt. 

Du arbeitest mit den »Tools to go«. Was ist damit gemeint?

Einfach nehmen und machen. Wichtig ist es, sofort loszulegen. Nicht so kompliziert. Den ReCup-Becher bringt man auch einfach zurück. (lacht)
Hands On. Wo ich sagen kann: Ich kann sofort loslegen. Ich habe für mich ein Muster entwickelt. Das greife ich jetzt und setze es um. Auch das Denken in Reflexionsschleifen ist wichtig:

· Was läuft gut? 
· Wo hängt es? 
· Was ist der nächste Schritt?

Wenn wir es einfach in diesem Dreischritt benennen. Diese kontinuierlichen Verbesserungsprozesse. Wenn ich Bedarf habe, nutze ich diesen.

Mein Ziel war es immer Schaubilder auf das Wichtigste zu reduzieren. Man kann alles beliebig erweitern. Es wird immer komplexer. Aber ich kann nicht jede Zeit Komplexität: Ende.  Reduce to the max 
Ich sehe da immer einen Bonsai. Er muss in die Hand passen. 

Das Bürgermeister:innen-Projekt war zum größten Teil online angelegt. War das eine besondere Herausforderung? Oder hat es durch die Einsparung der Reisewege auch Vorteile gebracht?

Es ist ein Abwegen: Kosten – Nutzen. Natürlich ist es super, wenn man zusammen in einem Raum sitzt. Aber Schleswig-Holstein ist riesig. Ich wohne am äußersten Rand im Norden und weiß, wie aufwendig der Weg in die Kreisstadt ist. Geschweige nach Kiel oder Lübeck. Das überlege ich dreimal oder viermal. Ob ich mir das zeitlich leisten kann. Wir sind beim Ehrenamt und diese Zeit des Coachings ist noch on top.  Was ist das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis. Wir haben den ersten Tag hybrid gemacht. Was vom organisatorischen Aufwand immens war. Auch da wieder Kosten-Nutzen. Ich hatte den Anspruch, das jeder Zeit alle Teilnehmer:innen hören und sehen kann. Das ist ziemlich „tricky“. Mit dem Hören, das ist noch besser als mit dem Sehen. Letztendlich war es bei der Gruppenarbeit so (wir arbeiten viel in Gruppen) das man gut im Zoom in der Gruppe arbeiten kann und vor Ort ebenfalls. Aber natürlich nicht gemischt. Hybrid finde ich herausfordernd. Viel herausfordernder als nur im Zoom.  Ich habe möglichst auf Bildschirmteilungen verzichtet. Ich habe dann doch mit einem Flipchart gearbeitet, damit man sich relativ groß sehen kann. Cooachingbasiert kann man online genauso arbeiten wie in Präsenz. 

Was war dir persönlich bei dem Projekt wichtig?

Ich habe mich sehr über das Feedback gefreut. »Ich habe ein Gefühl dafür bekommen, wie ich damit arbeiten kann. Die Vernetzung miteinander. Das Gemeinsame. Ich habe Lust bekommen, die Sachen anzupacken und auf meine Art umzusetzen. Die eignen Stärken zu nutzen. Und Ziele zu formulieren, die man erreichen kann. Und nicht frustrieren lassen von Dingen, die gar nicht gehen.« Dass das gelungen ist, freut mich sehr.

Was zeichnete die Teilnehmer:innen aus deiner Sicht aus?

Das Besondere war das unglaubliche Engagement. Alle wollen etwas. Eine Powertruppe! Sie haben alle eine große Offenheit mitgebracht, um miteinander ins Gespräch zu gehen. Auch ein Safe Space zu haben, wo man wirklich offen und ehrlich und fehlerfreundlich sprechen kann. Nur so kann man in Lern- und Entwicklungsprozesse wachsen. 

Welche Rahmenbedingungen fehlen, um das Versprechen von Bund und Land in Sachen SDGs umzusetzen?

Die Fördermittellandschaft, das sagten alle Teilnehmer, sollten ein bisschen neu justiert werden. Ich kenne es von beiden Seiten. Die öffentliche Hand will das Geld einfach „raushauen“. Andererseits ist es in den kleinen Gemeinden sehr schwierig, diese ganzen Förderanträge zu stellen. Es gibt niederschwellige Sachen, wo man etwas Geld bekommen kann. Du brauchst dafür nicht so viel einreichen. Das ist gut. Das braucht es. Aber viele sagen sich dann auch, der Aufwand an Bürokratie überfordert sie.  Ich verzichte dann lieber auf das Geld und frage die örtlichen Unternehmer, ob sie nicht den einen oder anderen Betrag investieren, möchten für ein Projekt. Es ist eine Gradwanderung aus meiner Sicht. Die Interessenslagen sind da unterschiedlich. Auf Kreisebene gibt es den ein oder anderen Fördertopf und dann fängt man an klein an und die Regularien werden dann auf einmal so, dass sich die Richtigen gar nicht mehr bewerben. Es bleibt die Quadratur des Kreises, um da die richtige Lösung zu finden. Die Bürgermeister:innen haben auch den Wunsch, pauschal etwas mehr Geld zu bekommen. Vertraut uns, dass wir etwas Gutes damit machen! Ich glaube, das wäre ein guter Ansatz. 
Das ist dann wieder die Frage, wer vertraut wem wie sehr! Wenn man Ehrenamtlern einen so einen vertrauensvollen Posten überlässt. Dann macht doch mal alles ohne Geld. Dann aber mit Geld auszustatten, das sie für die Arbeit ausgeben können, ist das schon passend! Nach den fünf Jahren, die ein Bürgermeister im Amt ist, wird ihm das Vertrauen für die kommenden Jahre weiter ausgesprochen oder er verliert sein Amt. Also eine sehr demokratische Entscheidung. Die höheren Ebenen wollen im Moment steuernd in die Ebene eingreifen. Wir geben Euch etwas, wenn ihr tut, was wir wollen. 

Was möchtest du mit deiner Coaching-Expertise im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit oder die 17 Ziele in den nächsten Jahren erreichen?

Mein Wunsch ist es das coachingbasierte Denken zu verbreiten. Dieser Ansatz, das das WIE auch Einfluss hat auf WAS. Wenn ich will des Menschen eigenständig Denken und Handeln funktioniert es nicht, wenn ich sie »bepredige«. Dann muss man anders miteinander arbeiten. Nämlich dass man es einfach voraussetzt, dass sie es tun! 
Mein Pädagogiklehrer in der Schule hat einen Spruch gesagt, der mich seitdem begleitet: Man kann Mündigkeit nur erreichen, wenn man Mündigkeit voraussetzt. Ich gehe davon aus, dass alle einen Beitrag in dieser Transformation leisten können. Das der Beitrag sehr unterschiedlich ist. Und sich auf unterschiedliche Dinge bezieht. Das wir alle Beiträge dafür brauchen und dass wir es der Person ermöglichen, diesen Beitrag zu leisten. Auf ihre Art und Weise.  Did it your way! Das ist mein Spruch dazu. Mein Claim. Und diesen Gedanken möchte ich streuen und säen. Und erlebbar machen durch meine Arbeit.  In diesem Kontext biete ich auch jetzt im Herbst eine Coaching-Ausbildung, DCV-zertifiziert, an. Hierbei können Menschen diesen coachingbasierten Ansatz mit kreativen Methoden erlernen. Und das an einem der schönsten Orte überhaupt: in der Akademie am Meer in Klappholttal.

In deinem Buch »Intuitiver Methodenansatz in Coaching- Prozessen« gibst Du neben einem Überblick über Grundansätze und Modelle, die ein freies, intuitiv- vorgehendes Coachen ermöglichen, auch sehr viele Praxisbeispiele. Welche Rolle spielt die Kreativität für strukturorientierte Verfahren, die situativ geöffnet werden?

Kreativität spielt eine große Rolle. Ich habe mich gerade heute mit einer Kollegin, die Grafik-Designerin ist über das Thema Kreativität im Kontext von KI unterhalten. Das war eine spannende Debatte. Menschliche Kreativität entsteht aus eigenem Erleben und eigener Wahrnehmung. Und dieses, was man erlebt, und wahrnimmt aus dem eigenen Kopf raus, und das auf unterschiedliche Weise und dann zu teilen. Gemeinsame Ko-Kreativität. So können mehrdimensional neue Formen von Kreativität entstehen. Es ist nicht steuerbar. Ko-kreative Prozesse sind nicht steuerbar. Die brauchen einen Raum und dann passiert etwas. Jeder Mensch ist auf seine Weise kreativ. Das Schöpferische ist Teil des Menschseins. Kreativität hat auch etwas Körperliches. Ich nehme etwas wahr. Ich nehme meinen Körper wahr, Gefühle, einen Raum und Reaktionen. Wenn wir etwas bewusst wahrnehmen, dann haben wir so viel Stoff für Kreativität. Weil wir das, was wir wahrnehmen auch wieder in Resonanz zurückspielen und ausdrücken können. Und dafür haben wir verschiedene Formen. Das Reden ist das eine. Manche tanzen, malen, schreiben. Oder suchen etwas, was da ist. Es gibt so viele niedrigschwellige Formen, um Wahrgenommenes auszudrücken. Das geht immer und bei jedem Menschen. 

In deinem zweiten Leben bist du als Assistentin Margoo gemeinsam mit Dr. Beatrix Becker, diplomierte Ordnungswissenschaftlerin und Gründerin der Partei Ordnung und Heimat, mit der Jokerei unterwegs. Wie würdest du Margoo in einem Satz beschreiben?

Ihr Leben ist der Tanz. Sie liebt das Lachen und das Leben. Und sucht Ihren Platz in der Welt damit.

Was ist die Jokerei?

Unser erster Auftritt war nah einer Projektgruppe, die einen Unternehmenstag zum Thema Fehlerfreundlichkeit und Fehlerkultur gemacht hat. Und da habe ich gesagt, wir haben eine Idee. Wir kommen zu zweit und haben eine Performance dazu. Wir sind damit im August 2022 gestartet. Dann haben wir die Werbetrommel gerührt und in einer Veranstaltung des KGSt Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, bei der wir im Gespräch zum Thema Klimaschutz und Klimaanpassung sind, durften wir eine Performance machen zu den SDGs. Dazu hatten zwei Auftritte. Über die Clowns-Ausbildung ist die Idee der Jokerei entstanden.

Das letzte Wort:

Hat meistens jemand anderes ...

Susanne Klaar, RENN.nord Öffentlichkeitsarbeit, führte das Interview am 4. Mai 2023, dem deutschen Earth Overshoot Day. An diesem Tag wären 2023 alle verfügbaren natürlichen Ressourcen unseres Planeten für dieses Jahr verbraucht, wenn alle Menschen weltweit so leben würden wie die Menschen in Deutschland. 

Margot Böhm zeigt uns viele Stellschrauben. An diesen Schrauben können wir alle gemeinsam und jeder für sich drehen. 

Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Margot!

nach oben

Hinweis

Die von Ihnen besuchte Subseite gehört zum datenschutzrechtlichen und redaktionellen Verantwortungsbereich von RENN.nord.